Erklärung von Herrn Bart De Wever, Premierminister von Belgien, abgegeben auf der Generalversammlung

*** Diese Erklärung wurde am 25. September 2025 in New York auf Englisch während der Plenarsitzung der Generalversammlung abgegeben. Nur das gesprochene Wort gilt.***
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
ich stehe zum ersten Mal vor Ihnen. Ich bin 54 Jahre alt, was bedeutet, dass ich in den 1980er-Jahren, als Ronald Reagan Präsident dieses großartigen Landes war, ein Teenager war. Ein Mann, den ich bewunderte und immer noch bewundere.
Heute blicke ich mit Nostalgie auf diese Zeit zurück, da ich damals fest davon überzeugt war, dass die westliche Welt durch gemeinsame Werte und gegenseitigen Respekt verbunden war. Ich glaubte auch, dass unsere Werte letztendlich die ganze Welt beherrschen würden.
Heute werden wir an den Melierdialog des griechischen Historikers Thukydides erinnert.
Er beschrieb, wie Gesandte aus Athen die kleine, neutrale Insel Melos zwangen, sich im Peloponnesischen Krieg für eine Seite zu entscheiden.
Sollte Melos sich weigern, würde Athen es zerstören.
Thukydides fasste die brutale Logik der Macht in einem einzigen Satz zusammen:
„Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen erdulden, was sie müssen.“
Vielleicht hatte er in Bezug auf die menschliche Natur recht. Aber das ist nicht die Welt, in der wir heute leben möchten.
Zivilisation bedeutet, danach zu streben, besser zu sein als unsere einfachen Instinkte, uns über sie zu erheben.
Die Vereinten Nationen entstanden aus dem zerstörerischsten Krieg der Menschheitsgeschichte heraus, um genau dieses Bestreben zu verkörpern.
Dennoch stehen internationale Organisationen heute unter Druck. Das Völkerrecht steht unter Druck. Die Achtung der Souveränität steht unter Druck. Geopolitik wird häufig zu reiner Ego-Politik.
Und das bedauere ich zutiefst.
Deshalb stehe ich heute vor Ihnen, um mich für eine Welt einzusetzen, die auf gegenseitigem Respekt basiert.
Eine Welt des freien und fairen Handels.
Eine Welt der starken Partnerschaften, des Respekts und der Zusammenarbeit.
Eine Welt, die auf internationalem Recht basiert.
Eine Welt, die den Klimawandel bekämpft.
Eine Welt des Friedens, des Wohlstands und des Fortschritts.
Die Vereinten Nationen spielen bei der Verfolgung dieses Ziels weiterhin eine entscheidende Rolle. Die Vereinten Nationen sind bei weitem nicht perfekt, und daher unterstützen wir die Reformagenda UN80.
Denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm.
Ich möchte zwei Bereiche hervorheben, in denen wir dringend Fortschritte erzielen müssen: unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.
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Erstens: Sicherheit.
Alle, die Freiheit schätzen, müssen sich für den Aufbau resilienter und wachsamer Gesellschaften einsetzen.
Wir sind mit neuen Formen des Imperialismus, neuen militärischen Bedrohungen und gewaltsamen Konflikten konfrontiert, die ganze Regionen destabilisieren.
Dies ist nicht der von uns gewählte Weg. Aber wir können es uns auch nicht leisten, naiv zu sein.
Diejenigen, die sich Frieden wünschen, müssen bereit sein, ihn zu verteidigen. Aus diesem Grund stehen wir fest an der Seite der Ukraine.
Wir müssen einen Schutzwall gegen diejenigen errichten, die uns so betrachten, wie die Athener Melos betrachtet haben.
Belgien übernimmt daher seine volle Verantwortung und investiert verstärkt in die Verteidigung. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern streben wir eine stärkere Integration unserer Streitkräfte und Verteidigungsindustrie an.
Gleichzeitig müssen wir die Beziehungen zu allen Ländern stärken, die sich für Frieden und Stabilität engagieren.
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Wir müssen uns auch mit der Zunahme der internationalen organisierten Kriminalität auseinandersetzen.
Kriminelle kennen keine Grenzen.
Kriminelle Netzwerke nutzen die Lücken zwischen Polizeibehörden und Rechtssystemen aus.
Sie fördern Terrorismus, Menschenhandel und den illegalen Waffenhandel.
Aber es gibt Hoffnung. In ganz Europa und Lateinamerika habe ich eine neue Bereitschaft zur Vertiefung der Zusammenarbeit beobachtet. Ich bin überzeugt, dass viele afrikanische und asiatische Länder mit denselben Herausforderungen konfrontiert sind.
Gemeinsam können wir unsere Gesellschaften für Handel öffnen, aber für Kriminalität schließen.
Denn die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger muss stets unsere oberste Priorität bleiben.
Dies ist die erste große Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
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Eine weitere große Herausforderung, der wir gegenüberstehen, besteht darin möglichst viel Wohlstand für möglichst viele Menschen zu sichern.
Die Welt wird derzeit wieder einmal von Protektionismus geprägt.
Und doch sind die historischen Beweise eindeutig. Seit mehr als zwei Jahrhunderten ist freier und fairer Handel der einzige wahre Motor des Fortschritts.
Er hat die extreme Armut deutlich reduziert. Er hat die Lebenserwartung erheblich erhöht. Er hat medizinische Durchbrüche ermöglicht, die einst verheerende Krankheiten besiegt haben.
Freier und fairer Handel ist der Weg der Zukunft.
Wir müssen ihn fördern und verteidigen.
Wir müssen Handelsbarrieren beseitigen. Wir müssen unserer Wirtschaft grenzüberschreitendes Wachstum ermöglichen. Wir müssen Produktivität fördern, Arbeitsmärkte stärken und in Innovation investieren.
Kurz gesagt: Wir müssen Wohlstand schaffen, der weltweit geteilt wird.
Und wir dürfen nicht vergessen: Wohlstand schafft Frieden. Wohlstand schafft Vertrauen.
Belgien ist bereit, Sie bei diesem Vorhaben als Partner zu unterstützen.
Belgien ist und bleibt stets offen für Handel und Wirtschaft.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Delegierte,
Lassen Sie uns nicht der harten Logik von Thukydides erliegen. Lassen Sie uns beweisen, dass es nicht das Schicksal der Menschheit ist, zu dominieren oder zu leiden, sondern zusammenzuarbeiten und zu gedeihen.
Dies sollte weiterhin die Mission der Vereinten Nationen sein.
Vielen Dank.